StZ sonstige Kreis-Seiten 28.02.1998

 

Kleindenkmale (16)

Ein ganzes Dorf liegt im Acker begraben

Nicht nur Lebewesen, auch Gemeinwesen können sterben. Für gewöhnlich denkt man nur an blühende und wachsende Siedlungen. Wie aus einem Hof ein Weiler wird, aus dem Weiler ein Dorf und schließlich vielleicht eine Stadt. Daß die Entwicklung aber auch umgekehrt verlaufen kann, daß ganze Dörfer untergehen können, ist gemeinhin weniger bekannt. Sicher, heute kommt es nur noch selten vor, daß ein Dorf in den Fluten eines Stausees versinkt, daß eine ¸¸Manntränke'', wie es an der Nordsee anschaulich hieß, eine gewaltige Sturmflut, die Deiche brechen läßt, und das Meer besiedeltes Land dauerhaft zurückerobert. Dem Braunkohlentagebau oder der Gewinnung von Bodenschätzen fallen nur noch vereinzelte Dörfer zum Opfer, kaum mehr eins der Anlage von Truppenübungsplätzen. Die Dezimierung der Bevölkerung durch Krieg, Seuchen und Hungersnöte, die dann zur Auflassung ganzer Siedlungen führt, ist in Europa nicht mehr zu befürchten.

All diese Ursachen für den Siedlungsschwund sind in früheren Zeiten geläufig gewesen. Neben dem spontanen Siedlungsabbruch gab es das Dahinkümmern, das allmähliche Schrumpfen, den unaufhörlichen Niedergang: Immer mehr Menschen verlassen Haus und Hof, die unbewohnten Gebäude zerfallen. Die Siedlung wird schließlich ¸¸wüst'', wie der Fachmann sagt. Solche ¸¸Wüstungen'' gibt es im Lande mehr als man glauben mag. Ihre Zahl wird auf 500 bis 1000 geschätzt. Häufig erinnern nur noch Flurnamen an die abgegangenen Orte. Manchmal bewahren merkwürdige Besitz- und Markungsverhältnisse das Gedächtnis. Bisweilen knüpfen sich Sagen an solche geheimnisvollen, untergegangenen Orte. Oft aber ist weder der Name noch die genaue Lage der Wüstung mehr bekannt. Die Wüstungsforschung, die sich mit solchen Fragen beschäftigt, steht noch ziemlich am Anfang.

So ist es auch mit Vöhingen, einem untergegangenen Bauerndorf auf dem fruchtbaren Langen Feld zwischen Schwieberdingen und Möglingen im Kreis Ludwigsburg. Der ¸¸Vöhinger Weg'' nach Schwieberdingen, das ¸¸Vöhinger Pfädle'' nach Kornwestheim, der ¸¸Vöhinger Graben'', einst ein Hohlweg nach Markgröningen, und schließlich das ¸¸Vöhinger Kirchle'' findet man noch auf alten Karten. Von dem Kirchle, von den stolzen Bauernhäusern, von den Wegen und zum teil sogar gepflasterten Straßen heute keine Spur mehr. Das liegt alles im Acker begraben. Erst die Archäologen haben auf den Feldern Zeugen der untergegangenen Siedlung entdeckt und freigelegt. Ihre Arbeit ist aus Geldmangel gestoppt. Wie es damals war, und warum das blühende Dorf verlassen und aufgegeben wurde, bleibt deshalb weiterhin ein Rätsel.

Der Ortsname Vöhingen deutet auf eine Besiedelung durch die Alamannen im 5. Jahrhundert hin. Ein Faho oder Feho hat sich hBier mit den Seinen niedergelassen und die fruchtbaren Lößböden bebaut. Die erste urkundlichre Nennung im Jahr 779 (¸¸Fehingen'') bezieht sich vermutlich auf Vaihingen/Enz. Bodenfunde belegen aber sicher eine Siedlung zur Merowingerzeit, im 6./7. Jahrhundert. Bereits im 8. Jahrhundert dürfte ein erste Kirche in Vöhingen gestanden sein. Seinen Höhepunkt erlebte das Dorf im 12. Jahrhundert. Seine Pfarrkirche, die es in seelsorgerlicher Hinsicht unabhängig machte, unterstreicht, ebenso wie Bodenfunde, seine Bedeutung.

Dann aber begann um 1300 der Verfall. Immer mehr Anwesen wurden aufgegeben. Die letzten Bewohner verließen um die Mitte des 14. Jahrhunderts den Ort. Hat eine Klimaveränderung dies bewirkt, ein Bevölkerungsrückgang den Absatz landwirtschaftlicher Produkte schrumpfen lassen? Hat die Pest 1347 das Ende gebracht?

Oder waren es politische Gründe, die grundherrliche Anordnung, in eine größere Siedlung umzuziehen, etwa nach Markgröningen, um dieser Stadt bessere Existenzbedingungen zu schaffen? Der Prozeß der Bevölkerungskonzentration in den Städten ist damals vielerorts festzustellen. Heute geht der Trend, auf freiwilliger Basis allerdings, in die Gegenrichtung: aus den Städten hinaus aufs ¸¸flache Land'' drum herum.

Die Vöhinger Kirche hat das Dorf lange überlebt. Noch 1488 hat sie der Graf von Nippenburg ausbessern lassen. Und bis zur Reformation wurde allwöchentlich eine Messe in der einsamen Kirche auf dem Feld gelesen. dka