StZ sonstige Kreis-Seiten 09.01.1998

 

Kleindenkmale (12)

Stille Einkehr am Wegesrand

Der Urlauber findet sie in Oberschwaben und im Allgäu fast auf Schritt und Tritt: Kruzifixe am Wegesrand, Bildstöcke, Heiligenfiguren. Sie sind Teil eines stimmungsvollen Landschaftsbildes, ein beliebtes Postkartenmotiv. Solche religiösen Kleindenkmale sind in der Region Stuttgart selten. Sind oder waren die Menschen hier weniger religiös? Mit Blick auf die pietistischen Eiferer läßt sich diese Frage wohl verneinen. Es gibt einen anderen Grund: Altwürttemberg ist seit der Reformation über Jahrhunderte hinweg ein (fast) rein protestantisches Gebiet gewesen, das der Kunst und der Abbildung im Bereich des Glaubens distanziert gegenüberstand.

Anders in katholischen Gebieten, wo besonders das Barock viele kunstvolle Skulpturen hinterlassen hat. Wo man in Württemberg solche steinernen (seltener auch hölzerne) Zeugen des Glaubens in Feld und Flur findet, gehört das Land erst seit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und der napoleonischen Neuordnung zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu Württemberg. Bis dahin war es Herrschaftsgebiet von dem alten Glauben verhafteten Adeligen, wie den Herren von Neuhausen oder den Grafen von Rechberg, war Besitz des Deutschritterordens wie Dätzingen, gehörte zur nach 1580 rekatholisierten Grafschaft Wiesensteig der Helfensteiner oder zum Territorium einer der wenigen nicht protestantisch gewordenen Reichsstädte wie Weil der Stadt im Kreis Böblingen.

Ein Hochkreuz mit Kruzifix am Straßenrand oder auf dem Feld ist so ein Zeuge vergangener politischer Verhältnisse. Und diese wirken bis in die Gegenwart herein. Noch heute, wo die Menschen beider großen christlichen Konfessionen längst bunt gemischt zusammenleben, finden sich Kreuze nur in Gebieten mit katholischer Vergangenheit, sind also Glaubens- und Geschichtszeugnisse zugleich.

Das hölzerne Christuskreuz an der Schafhauser Straße in Weil der Stadt ist vermutlich von Maria Sauter, geborene Schütz etwa um 1830 gestiftet worden, hat ein Nachfahr, der Heimathistoriker Siegfried Schütz, ermittelt. Die betuchte Frau, verwandt mit der aus der welschen Schweiz zugewanderten vermögenden Tuchmacherfamilie Gaudy, hat mehrere kirchliche Stiftungen gemacht.

Der Anlaß für die fromme Stiftung liegt im dunkeln. Das ist meistens so. Auch dort, wo eine Inschrift erläutert:¸¸Zur Ehre Gottes'', oder die ¸¸Vorübergehenden'' zu stiller Einkehr und zum Gebet am Wegesrand auffordert, wird die Absicht des Stifters nicht klarer. Wegkreuze sind einfach Zeichen der Volksfrömmigkeit vergangener Zeiten. Wie eng Glauben und Leben damals miteinander verbunden waren, vermögen sich viele heute gar nicht mehr vorzustellen.

Wie die meisten Christuskreuze wird auch dieses ein Votivkreuz sein, das die Stifterin aufgrund eines Gelöbnisses (¸¸ex voto'') aufstellen ließ. Es mag um das eigenen Seelenheil gegangen sein oder um profanere Dinge: daß der Mann oder der Sohn im Krieg oder auf Reisen vor Unheil bewahrt bleibe, daß die Geschäfte gut gelaufen sind, daß Hungersnot oder eine schwere Krankheit überstanden wurde. Dank oder Buße finden hier ihren sichtbaren Ausdruck, dem Gedächtnis an eine Person oder ein Ereignis, dem Lobpreis Gottes können solche Kreuze gewidmet sein oder dem Schutz vor Pest und die Bauern existentiell bedrohenden Unwettern. So lassen sich die Pestkreuze und die Blitz- und Hagelkreuze in Feld und Flur deuten.

Noch heute gibt es solche Zeugnisse der Volksfrömmigkeit in Weil der Stadt. Vor drei Jahren ist an der Ostelsheimer Steige ein Betonkreuz (ohne Christusfigur) von einer Frau gestiftet worden. Mit einem kleinen Altartisch versehen, bildet das Kreuz eine Station bei der Himmelfahrtsprozession im Hönig. Und im Altfeld ist 1996 ein weiteres Kreuz dazugekommen. Die Tradition lebt fort.

Übrigens, das Christuskreuz an der Schafhauser Straße muß dem Ausbau der Südumgehung weichen. Das religiöse Kleindenkmal soll versetzt, aber nicht beseitigt werden.dka