StZ Stuttgart 12.09.1997



Sonntag ist Tag des offenen Denkmals: Busrundfahrt zu Beispielen der Nachkriegsarchitektur

Liebevoller Blick auf Romeo und Julia

Stadtkonservator Mayer zeigt Baudenkmale aus den 50er Jahren: Rathaus, Villen, Kirchen und Siedlungen

Achtlos geht man an ihnen vorbei, oft werden sie abgetan, manchen drohte und droht Umbau oder Abriß - und doch sind es Denkmale. Gemeint sind Bauwerke aus den 50er Jahren. Die Nachkriegsarchitektur steht im Mittelpunkt des Tages des Denkmals am Sonntag in Stuttgart.

Auf einer Busrundfahrt, die um 10, 12.30 und 15 Uhr am Marktplatz beginnt und etwa zwei Stunden dauert, wird Stadtkonservator Wolfgang Mayer einige Beispiele der Nachkriegsarchitektur erläutern. Die Fahrten sind kostenlos, allerdings ist eine Anmeldung erforderlich (Telefon 216 - 6939 beim Stadtplanungsamt).

,,Die Stuttgarter Nachkriegsarchitektur ist für den süddeutschen Raum eine wichtige Bauepoche'', sagt Mayer. Gerade in der Landeshauptstadt werde die Spannung zwischen den Traditionalisten und den Vertretern des neuen Bauens sichtbar wie an sonst kaum einem anderen Ort. Mayer: ,,Von den Baudenkmalen aus der Nachkriegszeit im Land stehen zwei Drittel in Stuttgart. Sie sind aber vielen nicht bekannt''. Ein weiterer Grund für die Wahl dieses ungewöhnlichen Themenschwerpunkts ist für Mayer die Tatsache, daß ,,gerade heute an diesen Bauten viel verändert wird''. Und außerdem habe die Stadt in den vergangenen Jahren am Tag des Denkmals eher traditionelle Bauwerke wie die Hedelfinger Kirche, das Cannstatter Klösterle oder den Marmorsaal vorgestellt. Mayer: ,,Wir wollen auf die Nachkriegsarchitektur aufmerksam machen und manchem Vorurteil begegnen.'' Bei vielen nämlich seien die Stuttgarter Häuser aus den 50er Jahren als ,,Billigbauten'' verschrien - sieht man einmal von herausragenden Beispielen wie den Fernsehturm und die Liederhalle ab.

Am Startpunkt wird der Marktplatz und das 1953 bis 1956 entstandene neue Rathaus von Paul Schmohl und Paul Stohrer erläutert. Weitere Stationen der Rundfahrt sind das Loba-Haus von Rolf Gutbrod in der Charlottenstraße, eines der ersten Büro- und Geschäftshäuser nach 1945, die von Max Bächer gebaute Villa Windstoßer an der Neuen Weinsteige, die Waldsiedlung in Rohr und die Versuchssiedlung Rotweg von Richard Döcker. Dazu kommen die Wohnhochhäuser Romeo und Julia von Hans Scharoun, die Salvatorkirche in Giebel (Hans und Jörg Herkommer) und die Auferstehungskirche in Rot (Erwin Rohrberg) sowie das Stohrer-Bürohaus im Herdweg. ,,Wir fahren nicht nur vorbei, sondern werden die Bauwerke besichtigen'', sagt Mayer, der damit deutlich machen will, daß die 50er Jahre eine ,,Epoche mit einem ausgeprägten Stil'' waren: in Musik, Kleidung, Möbeln - und eben auch in der Architektur.

Kritik am städtischen Programm zum Tag des offenen Denkmals übt derweil die Arbeitsgemeinschaft Stuttgarter Bürgervereine (ABS). Vorsitzender Gerhard Viel bezeichnet das Angebot der Stadt als beschämend. In einem Brief an Oberbürgermeister Wolfgang Schuster fordert er, daß sich die Stadt 1998 stärker beteiligen müsse. Der ABS regt an, öffentlichen Gebäuden wie das Mühlhausener Schloß, die Villa Reitzenstein, den Mittelbau des Neuen Schlosses, alte Trafostationen, die Kellergewölbe des Fernsehturms und den ehemaligen Rosensteintunnel der Bahn zu öffnen. Viel: ,,Das sind Objekte, die von den Bürgervereinen an einem solchen Tag gerne besichtigt würden.'' dud

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