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Im Südwesten

Artikel aus der
Stuttgarter Zeitung
vom 05.08.2002

 


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Mäzen baut römische Götterhalle im Gäu


 

Archäologen bergen hunderte von Skulpturfragmenten


 
EUTINGEN, Kreis Freudenstadt. Kunstmäzene haben eine Vorliebe fürs Ländliche. Das war schon zur Römerzeit so. Damals hat ein wohlhabender Freund der bildenden Kunst sich im Eutinger Ortsteil Rohrdorf eine Kunsthalle gebaut.

Von Dieter Kapff

Dort, wo Eutingen heute ein Gewerbegebiet plant, lag einst eine etwa drei Hektar große römische Siedlung, wie schon seit langem durch Funde bekannt ist. Beim Bau der Bahnlinie Stuttgart-Singen vor rund einem Jahrhundert ist ihr Herzstück unbeobachtet zerstört worden. Lohnt dann eine Ausgrabung des peripheren Rests überhaupt noch? Jürgen Trumm von der Außenstelle Karlsruhe des Landesdenkmalamts hat sich dafür entschieden - und damit "einen guten Riecher" gehabt. Der Erfolg, ein nördlich der Alpen einmaliger Befund, gibt dem Archäologen Recht. Der Fall zeigt wieder einmal, wie schwierig es ist, sichere Erkenntnisse über archäologische Befunde zu gewinnen, die unsichtbar im Boden schlummern.

Die Archäologen sind bei ihren Ausgrabungen auf ein mauerumwehrtes Areal gestoßen, dessen Deutung noch nicht sicher ist. Es könnte sich um einen Landsitz (villa rustica) eines Würdenträgers aus der nahen Stadt Sumelocenna (dem römischen Rottenburg) handeln. Trumm schließt in diesem frühen Stadium der Ausgrabung aber auch nicht aus, dass hier eine Straßenstation war, wo Reisende Pferde wechseln konnten. Denn die Siedlung lag an einer wichtigen Straße, die vom Oberrhein über den Kniebis nach Rottenburg und weiter zur Donau führte. Auch Mischfunktionen, selbst mit Einschluss sakraler Zwecke, sind nicht auszuschließen.

In jedem Fall aber handelt es sich um eine einzigartige Anlage. An der nördlichen Umfassungsmauer haben die Archäologen auf der Innenseite einen merkwürdig dimensionierten Anbau freigelegt. Er ist 45 Meter lang und nur 2,5 Meter breit. Im Westen und Osten biegt die Außenmauer stumpfwinklig ab. In den Ecken befanden sich abgeteilte kleine Räume, dazwischen ein 35,5 Meter (120 römische Fuß) langer Schlauch, eine nach Süden offene Säulenhalle mit einem Pultdach. Darin fanden sich in einer Reihe angeordnet elf Quader, die einst als Fundamente für die Sockel von Statuen gedient hatten. Die Postamente waren so angeordnet, dass die Statuen von Süden, also vom Hof her, zwischen den Säulen der Halle gut zu sehen waren. Viele Architekturteile und vor allem Fragmente von Statuen fanden sich dann im Schutt. Ein knappes Dutzend verschiedener Steinskulpturen konnten nachgewiesen und geborgen werden. Das größte Stück ist ein Torso des nackten Kriegsgottes Mars. Er wies Zerstörungen auf, die ihm der Pflug zugefügt hatte, denn die archäologische Fundschicht lag nur knapp unter der Ackeroberfläche. Geborgen wurden ferner der Kopf einer Rosmerta. Diese Göttin gilt als Begleiterin des Merkur und wurde vor allem in Süddeutschland verehrt. Der Kopf eines Merkur mit dem charakteristischen Flügelhut, der Kopf einer Minerva-Statue, ein Herkules mit der Keule, zwei noch ungedeutete Götterköpfe (vielleicht ein Apollo und eine Venus), ein Götterkopf mit Vollbart (Jupiter oder eher Silvanus, der Gott der Weide?) und ein noch gar nicht deutbarer Kopf kamen neben vielen anderen Körperteilen zum Vorschein.

Keine der etwa lebensgroßen Statuen ist vollständig erhalten, alle sind sie zerschlagen worden. Die fehlenden Bruchstücke dürften in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gebäuden vermauert sein. Denn damals hat man die Römerruinen ausgeschlachtet und sich des preiswerten Baumaterials bedient.

Bei der ersten Durchsicht der Skulpturfragmente fällt auf, dass die steinernen Statuen nach künstlerischer Qualität, nach Größe und nach dem verwendeten Steinmaterial unterschiedlich sind. Der Mäzen hat also verschiedene Künstler beauftragt. Dargestellt sind die Top Ten der römischen Götterwelt, vor allem aber Gottheiten, die für das wirtschaftliche Wohlergehen (Landwirtschaft, Handel, Handwerk) - Merkur ist zweimal vertreten, was ungewöhnlich ist - und die militärische Sicherheit von Bedeutung waren. War die Götterhalle im Gäu eine Art zentrales Heiligtum der Provinzialrömer am Neckar? Jürgen Trumm glaubt nicht daran. Nichts deutet auf eine Opferstätte oder ein Heiligtum hin. Die Architektur habe nicht sakralen, sondern sehr profanen Charakter. Eher ist es eine Art Kunsthalle, die ein potenter römischer Mäzen sich oder vielleicht auch einer breiteren Öffentlichkeit erbauen ließ. In Italien und Nordafrika gebe es vergleichbare Anlagen. Bildhauer haben damals für ihre Statuen überwiegend religiöse Themen gewählt, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Rohrdorfer Kunsthalle eine Götterhalle war. Dass der Kunstgenuss sinnigerweise auch mit der Verehrung der Gottheiten einherging, ist daher nicht auszuschließen.
 
05.08.2002 - aktualisiert: 05.08.2002, 06:35 Uhr

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