Artikel aus der
Stuttgarter Zeitung
vom 19.10.2001
sonstige Kreisseiten



Die Spur der Steine

Heimatbund zeichnet einen passionierten Forscher aus

KORNTAL-MÜNCHINGEN. Steine sind für Winfried Schweikart alles andere als eine trockene Materie. Seit sechs Jahren erfasst der Korntal-Münchinger (Kreis Ludwigsburg) mit beeindruckender Leidenschaft Grenzsteine. Dafür hat er einen Kulturlandschaftspreis bekommen.

Von Verena Mayer

Winfried Schweikart bringt Steine zum Sprechen. Aus 240 Grenzsteinen in Korntal-Münchingen, Zuffenhausen und Weilimdorf hat der 58-Jährige ihre Geschichte herausgekitzelt. Er hat sich vor ihnen nieder gekniet, hat sie aufmerksam begutachtet, hat ihnen fast zärtlich auf den graugrünen Kopf aus Sandstein geklopft, hat sie geputzt und er hat sie vermessen. Winfried Schweikart weiß alles über seine steinernen Freunde: ihre Maße, ihre exakte Lage und eben ihre Geschichte.

Vor sechs Jahren hat sich der Heimatforscher die Kartierung der historischen Markierungen zum Hobby gemacht und ist seither die Gemarkunsgrenzen von Korntal-Münchingen, Zuffenhausen und Weilimdorf abgelaufen. Als kleiner Bub habe er schon wissen wollen, was die Steine am Wegesrand und die eingeritzen Symbole und Zahlen bedeuten. Heute weiß er es.

Mehr als 1000 Fotos hat er von den 240 Grenzsteinen in seinem Gäu geschossen. In unzähligen historischen Büchern und Urkunden hat Schweikart recherchiert und zum Beispiel herausgefunden, dass und warum Korntaler Grenzsteine mit einem Maulgatter versehen waren oder dass und warum die Steine der Herren von Stammheim ein Sittich zierte. Dank der Steine und vieler Urflurkarten weiß er auch, wo anno dazumal der Acker des Bauern Müller endete und der des Bauern Zimmer begann. Viele Steine, erzählt er, sind verschwunden-gestohlen oder von Panzern und Traktoren umgepflügt worden. 40 Stück hat er wieder gefunden. Er hat sie aus der Erde gebuddelt, renoviert oder wieder zusammengesetzt.

"Sie sehen, ich mache alles ganz genau'', sagt der gelernte Stukkateurmeister und zeigt auf seinen Computer, seinen Scanner, seinen CD-Brenner und seine knapp 80 Ordner. Ein Griff, ein Klick und Schweikart hat alles, was er zum Bebildern seiner Stein-Geschichten braucht. Schweikart sprudelt. Fast ohne Punkt und Komma erzählt er, wie die Herren von Stammheim und das Kloster Bebenhausen als damalige Eigentümer vieler Ländereien Schweikarts Gäu beeinflusst haben, wie wichtig es ist, dass die alten Steine erhalten bleiben, weil sich an ihnen die Geschichte des Landes ablesen lasse.

Alles, was der gebürtige Zuffenhäuser weiß und auf acht CD-Roms gebrannt hat, stellt er Archiven, Ämtern, Behörden und interessierten Städten zur Verfügung. Diese wissen das Engagement zu schätzen. "Schweikart ist einer derjenigen, die mit Feuer und Flammer dabei sind'', sagt Reinhard Wolf, der Landeskonservator der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege in Stuttgart. Er wünscht sich mehr Typen wie Schweikart. Um die Kartierung der Kleindenkmale im Land, ein Projekt, das das Landesdenkmalamt in vier Jahren abgeschlossen haben möchte, wäre es "besser bestellt''. Als Vorstandsmitglied des Schwäbischen Heimatbundes hat er mit dem Sparkassenverband Baden-Württemberg Schweikart zu einem der Preisträger des diesjährigen Kulturlandschaftspreis gekürt. In Untätigkeit verfällt Schweikart jetzt, wo er alle Grenzsteine in seiner Umgebung erfasst hat, bestimmt nicht. Nach wie vor ist er nach eigenen Angaben "fast Tag und Nacht beschäftigt''. Er habe sich sogar geschworen, sich nicht vor sieben Uhr morgens an die Arbeit zu machen. Schweikart widmet sich nun anderen Kleindenkmalen. Wenn er heute mit seinem Meterstab, seinem Kompass, seiner Bürste, seinen Erfassungsbögen und seiner Kamera los zieht, ist er auf der Suche nach steinernen Ruhebänken, Steinkreuzen oder Gedenksteinen.

"Mir ist es noch nie so gut gegangen wie jetzt'', sagt der Mann, der wegen zweier Bandscheibenoperationen und eines neuen Hüftgelenks vor 17 Jahren seine Gerüstbaufirma aufgeben musse, und auf der Suche nach einer "sinnvollen Beschäftigung'' die Spur der Steine gefunden hat. Und wenn man es sich nach einem Vormittag mit Winfried Schweikart genau überlegt, dann weiß man, dass der agile Heimatforscher nicht nur die Steine zum Sprechen bringt. Wenn man erlebt hat, wie der leidenschaftliche Denkmalschützer in seinem Hobby aufgeht, wenn man gesehen hat, wie er hartgekochte Eier zur Unterscheidung von den rohen mit Grenzsteinsymbolen bemalt und wenn man ihn wie einen Wasserfall reden gehört hat, dann weiß man, dass die Steine auch ihn zum Sprechen bringen.

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