Artikel aus den
Stuttgarter Nachrichten
vom 20.9.2001
Nachbarkreise



Ein riesiges Archiv im Untergrund

Archäologen aus ganz Europa in Esslingen - Öffentliches Kulturprogramm

Esslingen - Europa richtet den Blick auf Esslingen: In der Neckarstadt wurde am Mittwoch der 7. Europäische Archäologenkongress mit über 500 Teilnehmern eröffnet. Für OB Jürgen Zieger eine gute Gelegenheit, auch die mittelalterliche Geschichte der Stadt in den Blickpunkt zu rücken.

VON ANNETTE MOHL

Die Europäische Archäologenvereinigung (EAA) hat für ihre 7. Jahrestagung Esslingen als erste deutsche Stadt ausgewählt. "Eine besondere Ehre für uns'', stellte Zieger gestern mit Blick auf die früheren Tagungsstätten Santiago, Riga, Ravenna, Göteborg, Bournemouth und Lissabon fest. Mit Thessaloniki, St. Petersburg und Krakau wird die Serie kulturhistorisch interessanter Schauplätze in den nächsten Jahren fortgesetzt.

Esslingens archäologische Bedeutung sieht der Präsident des Landesdenkmalamtes, Dieter Planck, vor allem in der landesweit ersten großen Flächengrabung, die in den 60er Jahren unter der Stadtkirche St. Dionys begonnen wurde. "Weit und breit gibt es in Baden-Württemberg nichts Vergleichbares'', betonte Planck. Doch nicht nur dort stelle sich der Stadtboden als unterirdisches Archiv dar. Die Ausstellung »Stadt-Findung« im Alten Rathaus zeige schlaglichtartig eindrucksvoll das Zusammenspiel von Stadtarchäologie und Stadtgeschichtsforschung.

Der Präsident der EAA und Generalinspektor für Archäologie in den Niederlanden, Willem Willems, lobte Esslingen ausdrücklich als Austragungsort: "Noch nie hat sich eine Stadt so eingebracht.'' Und in der Tat war es OB Ziegers Anliegen gewesen, den Kongress nicht zu isolieren, wie es zuvor in Lissabon der Fall war, sondern auch für die Öffentlichkeit zu öffnen. So erhalten Interessenten in Einzelfällen Tageskarten für die 41 Fachveranstaltungen. Das begleitende Kulturpogramm für die Bevölkerung umfasst über 100 Veranstaltungen mit Schwerpunkt Archäologie, aber auch zu anderen Stadtthemen. Das Kommunale Kino richtet ein Filmfestival zum Thema aus, das neue Entree namens Lux dürfte zum abendlichen Treff der europäischen Archäologen werden.

Im Mittelpunkt des Kongresses steht, so Willem Willems, der fachliche Austausch, aber auch Fragen der Bodendenkmalpflege. Und nicht zuletzt kommen Berufsfragen aufs Tapet bis hin zum Vergleich der Gehälter. Aber auch ethische Sachverhalte werden beleuchtet. Als Beispiel für ein archäologisches Tabu nennt Willems Grabungen, die nicht gesichert, sondern einfach im Stich gelassen werden: "Sie sind danach verloren.'' Und leider gebe es auch kommerzielle Grabungsfirmen, die Aufträge annähmen, für die sie gar nicht kompetent seien.

Beeindruckt zeigte sich der EAA-Präsident vom Grabungsmuseum St. Dionys mit Relikten und Gebeinen noch aus dem 8. Jahrhundert. Stadt und Kirchengemeinde bieten in dieser Keimzelle Esslingens jetzt Führungen an. Allein die Grabung in den 60er-Jahren verschlang 1,5 Millionen Mark (rund 767.000 Euro), der Aufbau des Museums weitere 400.000 Mark (rund 205.000 Euro).


Atrikelübersicht


© 1997-2001 Stuttgarter Nachrichten online - Stuttgart Internet Regional GmbH