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REGION STUTTGART 31.1.2000



Tanz der flotten Amseln im alten Pferdestall

Neue Nutzung für europaweit fast einmaliges Denkmal - Dreistöckiger Backsteinbau wird saniert

Esslingen - Die Stadt ist mit über 1000 Denkmalen verwöhnt. Und doch stoßen selbst Kenner noch auf Überraschungen: Der 1900 erbaute Pferdestall, der am Rande der Weststadt ein Hinterhofdasein führt, ist eine Rarität von europaweiter Bedeutung.

VON ANNETTE MOHL

Pferdeställe waren um die Jahrhundertwende nichts Besonderes, wohl aber dreistöckige. Lediglich drei davon soll es in Europa geben - einen davon in Esslingen. Gebietskonservator Klaus Könner vom Landesdenkmalamt will sich auf eine Zahl zwar nicht festlegen (¸¸das weiß niemand so genau''), spricht aber von einem ¸¸allerhöchst seltenen Denkmaltyp''.

Der Backsteinbau, heute eingepfercht zwischen dem Parkhaus Bahnhof und dem Dick, wurde von dem bahnamtlichen Spediteur August Blocher erbaut, um dort seine Huftiere einzustellen. Um Platz zu sparen, baute er eine ums Eck führende Holzrampe in den ersten Stock - und hatte damit die Kapazität für 32 Pferdeboxen. Ganz oben richtete er Haferkammer und Heuboden ein.

1908 übernahm der königlich württembergische Hofspediteur Kuno Bart das Anwesen. Als in den 50er Jahren der Lkw die Pferdestärke ablöste, mussten die Boxen im Erdgeschoss den neuen Vehikeln weichen. Kuno Barts gleichnamiger Enkel fand in der Esslingerin Karin Pflüger jetzt eine private Investorin, die das geschichtsträchtige Gemäuer aus purem Idealismus erhalten will. Die 44-jährige Architektin hat ihre Fantasie spielen lassen und ist um Ideen für eine Nutzung nach der Sanierung nicht verlegen: Das Unter- und Erdgeschoss will sie komplett den Karnevalsfreunden überlassen: ¸¸Für viele Menschen ist der Verein wie eine zweite Familie'', spricht sie nach dem Tod ihres Mannes aus eigener Erfahrung. In den Pferdeboxen kann sie sich Künstlerateliers vorstellen - Anfragen liegen ihr bereits vor. Dabei sollen jeweils zwei Boxen für einen Arbeitsplatz zusammengefasst werden. Ganz oben, wo sich in den letzten Jahren hordenweise Tauben eingenistet haben, will Karin Pflüger Raum für zwei weitere Vereine schaffen.

Wegen der optimalen Belichtung durch neue Dachfenster hält Klaus Könner zwar das oberste Stockwerk als besonders geeignet für Ateliers. Doch wie dem auch sei: ¸¸Diese Sanierung ist absolut erstklassig, Charakter und Substanz werden weitestgehend gewahrt.'' Unverwechselbare Elemente wie die Rampe, die Pferdeboxen und die einmalige Treppe ins Hafersilo bleiben bestehen. 900.000 Mark, die Karin Pflüger allein in den Umbau investiert, fließen vor allem in Haustechnik und Fassadenreinigung.

Für die Investorin ist das Projekt ein Traum, für die flotten Amseln, bei denen sie im Verein der Karnevalsfreunde selbst aktiv ist, ein Glücksfall. Und für das Denkmalamt ¸¸eine der allerbesten und interessantesten Umnutzungen im ganzen Land''.

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