Stuttgarter Zeitung Südwestdeutsche Zeitung 2.1.1999



Mit dem Kuhessen ein Kulturdenkmal retten

Wie eine Jugendstilkirche ins hohenlohische Gaggstatt kam

Pfusch am Bau gibt es nicht erst in unserem Tagen. In Gaggstatt in Hohenlohe mußte eine gerade 90jährige Dorfkirche renoviert werden. Mit viel Phatasie haben Pfarrer und Gemeinde Geld für die Sanierung aufgetrieben.

Von Karin Wohlschlegel

"Siehe da - eine Hütte Gottes bei den Menschen.'' Von weitem sieht man sie schon mir ihren beiden merkwürdigen Türmen. Es ist natürlich keine Hütte, sondern die wunderliche und wunderbare Dorfkirche von Gaggstatt, einem kleinen Ort ganz hinten in Hohenlohe, in der Nähe der alten Residenz Kirchberg an der Jagst. Der berühmte Stuttgarter Architekt Theodor Fischer (1862-1938) hat sie in nur wenigen Monaten von 1904 bis 1905 gebaut, weil die alte Kirche schon lange baufällig war. Aber man hat sie arg schnell gebaut, die neue Kirche. So mußte man Ende 1997 ein paar Eimer vor dem Altar aufstellen, weil sich der Turm vom Kirchenschiff wegbewegte und es durch die Lücke hereinregnete. Heute sieht man davon nichts mehr. Die Jugendstilkirche, die in Wahrheit eine Fischerkirche ist, steht da wie neu. Fischer hat sie nach seinen ökologischen Prinzipien gebaut, hat hohenlohischen Sandstein benutzt, hat mit den unglaublich vielen Dächern die umgebende Hügellandschaft nachempfunden.
Die Steine sind von ganz unregelmäßiger Größe, was durch die weiß verputzten Fugen noch hervorgehoben wird, und trotzdem versammelt sich diese Unregelmäßigkeit zu einem durch und durch regelmäßigen Gebäude. Die evangelische Kirche von Gaggstatt steht nicht frei im Dorf. Der Architekt hat Teile der uralten Mauern des Vorgängerbaus verwendet, um mitten im Dorf eine Zone der Ruhe zu schaffen. Es ist auch kein breites herkömmliches Portal, das zum Besuch der Kirche einlädt. Man muß eine schmale Treppe hinaufsteigen und befindet sich sofort in einer anderen, stilleren Welt. Vor dem Portal ein Leuchter, von dem ein kleiner metallener Fisch herabhängt, das uralte Erkennungszeichen der Christen. Dieser Fisch kündigt auch das Programm der Kirche an, die nicht einfach ein Haus für betende Menschen sein soll, sondern eine steingewordene Predigt. Ihr Thema ist das Wasser in allen Variationen. Das beginnt mit den Bänken, die blaugrün gestrichen sind und durch unterschiedliche Breite aussehen wie Wellen, setzt sich fort in den Leuchtern mit ihren Tropfen, bis hin zum Chorbogen, der als Regenbogen das Wasserprogramm beschließt. Der Taufstein stammt von Paul Bonatz, dem Erbauer des Stuttgarter Hauptbahnhofs, der als Assistent bei Fischer gearbeitet hatte.
Die Kirchenbänke reichen bis dicht vor den Altar: dies soll eine Gemeindekirche sein, keine Pfarrerkirche. Es ist ein Glück für die kleine Gemeinde von Gaggstatt, daß der heutige Pfarrer Willi Mönikheim heißt, ein zupackender Hohenloher, 1931 in Creglingen geboren, der mit gleicher Begeisterung über die Zahlensymbolik der grünen Kassettendecke referiert wie über die Frage, ob man den ursprünglich bunt ausgemalten Chorraum wieder in seinen alten Farben herstellen soll: Da siegte denn doch der Kirchenmann über den Freund der Architektur; von der andersartigen Anmutung der Farben spricht er, daß ein und derselbe Farbton vor 90 Jahren von den Menschen ganz anders gesehen wurde als heute und daß er - bei allem Denkmalschutz - kein Museum haben wolle, sondern eine lebendige Kirche in Hohenlohe, in der die Weihnachtsgeschichte auch auf hohenlohisch erzählt wird.
Da ist man dann schnell beim Verhältnis der Gemeinde zu diesem Gebäude. Damals, 1904, waren die Gaggstatter überhaupt nicht begeistert von Fischers Entwurf. Eine schicke neugotische Kirche, wie sie damals Mode war, hatten sie sich vorgestellt. Aber nun kam ein Professor aus Stuttgart, der sich schon lange gewünscht hatte, eine Kirche bauen zu dürfen (und der später nicht nur die Garnisonkirche in Ulm baute, sondern auch noch das Stuttgarter Kunstgebäude), und errichtete eine Kirche, wie es sie noch nicht gegeben hatte. Der damalige Pfarrer schrieb, die Jahre des Kirchenbaus seien die härtesten seines Lebens gewesen. Die Gemeinde habe nicht eingesehen, daß die neue, 70.000 Mark teure Kirche durch den verwendeten Sandstein von Anfang an alt aussehen mußte und so wenige Fenster in so großer Höhe hatte, daß man "das Licht mit Säcken hineintragen'' müsse. Aber, so vermutet Willi Mönikheim, es lag wohl auch daran, daß der Architekt während der Bauzeit sage und schreibe nur zweimal in Gaggstatt war und es versäumte, der Gemeinde zu erklären, was er sich gedacht hat.
Der heutige Pfarrer jedenfalls kann sich über seine Gemeinde nicht beschweren. Der größte Teil der Kosten der Renovierung (mehr als 1,5 Millionen Mark) wurde zwar von der württembergischen Landeskirche, dem Landesdenkmalamt, der EU und dem Kirchenbezirk getragen, aber die Kirchengemeinde mußte auch mehr als 400.000 Mark beitragen. Die Bausumme für die am 8.November 1998 wiedereröffnete Kirche wäre noch wesentlich höher geworden, hätte nicht eine Reihe von Gemeindegliedern monatelang mitgeholfen, allen voran ein gelernter Steinmetz, der nun den stolzen Beinamen ¸¸Dombaumeister'' trägt.

Ein kurzer Auftritt der Kirche in der SDR-Serie "Pfarrerin Lenau'' hat viele Besucher nach Gaggstatt gelockt und eine weitere Geldquelle für die Gemeinde erschlossen: Im Anschluß an die Führung durch die Kirche bietet Pfarrer Mönikheim zusammen mit einigen Frauen aus dem Ort ein "Kuhessen'' in der umgebauten Pfarrscheuer an; Nudelsuppe, süßsaure Gurken, Siedfleisch mit Meerrettich und Kartoffeln, Weinsauce - der erste Teil des traditionellen hohenlohischen Hochzeitsessens. Natürlich muß heutzutage auch ein Pfarrer den erforderlichen Kurs bei der IHK absolvieren, bevor er Besucher bewirtet - nun ist er "geprüfter Wirt'' und begrüßt etwa 100 Gruppen im Jahr, die auf diese Weise ihr Scherflein zur Renovierung der Kirche beitragen.

Führungen und Kuhessen können mit Pfarrer Willi Mönikheim direkt vereinbart werden, Tel. 07954/618. Wer mehr über den Architekten Theodor Fischer wissen möchte, kann in der Stuttgarter Erlöserkirche in der Birkenwaldstraße eine Ausstellung besuchen bis zum 2.Februar 1999, Mi 11-16 Uhr, Sa 10-13 Uhr, So 10.30-13 Uhr.

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